1. Quartal 2020

Shut Down an den Kapitalmärkten

Die Kapitalmärkte starteten mit einer gehörigen Portion Optimismus in das Jahr 2020. Weltwirtschaftlich schien sich das Wachstum trotz der Nachrichten rund um den Ausbruch des neuartigen Coronavirus in der chinesischen Provinz Hubei fortzusetzen. Leicht verbesserte Konjunkturindikatoren unterstützten diese positive Sicht und verhalfen den Aktienmärkten noch zu Beginn des Jahres zu neuen Allzeithochs. So stieg der Deutsche Aktienindex DAX Mitte Februar auf knapp 13.800 Punkte.

Auch als die Regierung in China mit drastischen Maßnahmen auf die Ausbreitung des Virus reagierte und die Schließung nahezu aller Geschäfte und Fabriken anordnete, nahmen die Börsen in der westlichen Welt dies nur in Bezug auf mögliche Probleme in den Lieferketten der Industrie zur Kenntnis. Der Ausbruch des Virus wurde zunächst als lokal auf China beschränkt wahrgenommen.

Doch dann entwickelte sich die Lage dramatisch: mit den erschütternden Bildern aus den Krankenhäusern in Norditalien wurde klar, das Corona sich zu einer bedrohlichen weltweiten Pandemie entwickeln würde. Die Maßnahmen der meisten europäischen Staaten wurden von Tag zu Tag drastischer und die Meldungen über die täglichen Infektionszahlen beherrschten nicht mehr nur die Medien, sondern auch die Börsen. Innerhalb von nur 4 Wochen brachen die Kapitalmärkte massiv ein. So verlor der DAX von Mitte Februar bis Mitte März etwa 40 % an Wert. Zu allem Überfluss lieferten sich Saudi-Arabien und Russland darüber hinaus einen Öl-Preiskrieg, der zu einem deutlichen Einbruch der Rohölnotierungen und damit zu neuen Verwerfungen führte.

Auf Quartalssicht verloren die wichtigsten globalen Aktienindizes etwa ein Viertel ihres Wertes: der deutsche Aktienindex DAX verbuchte ein Minus von 25%; der europäische EUROSTOXX 50 fiel um 25,6% und der amerikanische Dow Jones gab um 21,9 % nach.

Auch an den Rentenmärkten brachen die Notierungen zum Teil dramatisch ein. Der Performancebeitrag der Anleihen (mit dem Schwerpunkt bei Unternehmensanleihen) lag per 31.3. bei fast minus 15 %, eine solche Entwicklung hatten wir nicht einmal nach der Lehman-Pleite.

Zu diesem Punkt möchten wir Ihnen gern einige detaillierte Erläuterungen geben, da doch viele von Ihnen mit einem erheblichen Anteil in Anleihen investiert sind und der scheinbar sichere Hafen ‚Anleihen‘ den negativen Verlauf der Aktienmärkte jüngst nicht abfangen konnte.

Warum sind also auch die Rentenmärkte so unter Druck geraten?

Die Welt sieht sich mit einer in den letzten Jahrzehnten nicht dagewesenen Situation konfrontiert, die für einen vermutlich beschränkten Zeitraum die Basis unseres Wirtschaftssystems, Globalisierung und Mobilität, in Frage stellt. Die Menschen sind dadurch extrem verunsichert, handeln nicht mehr rational, sondern liquidieren jegliche Anlagen - auch im Anleihesektor.

Am Rentenmarkt wird allerdings nur ein kleiner Teil der Käufe und Verkäufe über die Börse abgewickelt. Der mit Abstand größte Teil des Handels wird OTC (Over-The-Counter) abgewickelt, d.h. außerbörslich zwischen den Handelstischen der Banken. Banken haben in diesem Geschäft festgelegte Grenzen, in welchem Umfang sie Rentenpapiere auf ihr eigenes Buch (also eigenen Bestand) nehmen dürfen, um Marktpflege zu betreiben. Sind diese Kapazitäten erschöpft, muss ein Käufer gefunden werden, ansonsten findet kein Handel statt.

Die Situation stellt sich so dar, dass am Rentenmarkt über die verschiedenen Marktsegmente hinweg mehr Verkäufer als Käufer aktiv sind. Die preisstellenden Händler setzen als Bewertungskurs deshalb oft einen sogenannten Taxkurs an, zu dem ein potenzieller Verkäufer bereit wäre - vielleicht aus einer Zwangslage heraus - deutlich unter dem fairen Wert ein Rentenpapier zu verkaufen. Eine Abwärtsspirale bei den Bewertungen der einzelnen Anleihen kann die Folge sein. Und dies ist genau die Situation, mit welcher wir uns derzeit konfrontiert sehen. So kommt es zu den deutlichen Kursabschlägen.

Besonders betroffen ist das Segment der Unternehmensanleihen. Neben einer geringeren Liquidität im Handel mit diesen Titeln führt die aktuell sehr hohe Verunsicherung über die künftige wirtschaftliche Entwicklung vieler Unternehmen bei der Bewertung von Anleihen, wie auch bei Aktien, zu größeren Risikoabschlägen in den Kursen. Erst wenn Ausmaß und Dauer der wirtschaftlichen Belastung absehbarer werden, ist mit einem Rückgang der Unsicherheit zu rechnen. Unterstützung bekommt der Unternehmensanleihemarkt in den vergangenen Tagen von der massiven Ausweitung des Anleihekaufprogrammes der EZB.

Die europäische Zentralbank hat erkannt, dass es am Anleihemarkt zu extremen Verwerfungen kam und teilweise noch immer kommt. Sie hat deshalb ein Anleihe-kaufprogramm in Höhe von 750 Mrd. EUR angekündigt. Damit stützt sie die Märkte, stabilisiert die Wirtschaft und versorgt das Finanzsystem mit Liquidität. Flankiert werden diese Maßnahmen durch fiskalische Unterstützung der Regierungen (Ankündigung von Kreditpro-grammen an kleine und mittlere Gewerbe etc.). Ziel all dieser Maßnahmen ist es, die Märkte und die Bevölkerung zu beruhigen und rationalen Überlegungen wieder mehr Raum zu geben.

Die Märkte werden sich nach einer Bodenbildung wieder beruhigen, dies gilt unseres Erachtens für Anleihen früher als für die Aktienmärkte. Wer also keinen dringenden Liquiditätsbedarf hat, sollte von (Not-) Verkäufen absehen.

Aktuell steht beinahe die ganze Welt still. China fährt zwar seine Wirtschaft langsam wieder hoch und liefert dringend benötigte Güter, insbesondere in der Medizintechnik, aber ansonsten befindet sich der Globus fast vollständig im sogenannten Lock-Down. Wirtschaftswissenschaftler weltweit erwarten die schlimmste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise 1929.

Mit aller Macht versuchen die Beteiligten, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Pandemie zu begrenzen. Notenbanken pumpen in nie gekanntem Ausmaß Liquidität in die Märkte und die Regierungen versuchen mit nahezu täglich neuen Hilfsprogrammen die Folgen des wirtschaftlichen Stillstands abzumildern. Selbst in den USA werden nun hektisch Sozialprogramme aus der Taufe gehoben, um die schlimmsten Auswüchse der fehlenden sozialen Absicherungen für weite Teile der Amerikaner abzufedern. Das scheint auch bitter nötig: viele US-Amerikaner verfügen über keinerlei Reserven und die Zahl der Arbeitslosen stieg innerhalb von 2 Wochen um etwa 10 Millionen. Auch die Bilanzen vieler Firmen stehen unter erheblichen Druck. Hier rächt sich, dass in der Vergangenheit vielfach Schulden aufgenommen wurden, um mit Aktienrückkäufen den Börsenkurs zu pflegen. Damit drohen die USA zum Epizentrum der wirtschaftlichen Probleme der Corona-Pandemie zu werden.

Besser stehen vordergründig Europa und Asien dar. Insbesondere in Europa ist die soziale Absicherung aktuell in der Lage, die schlimmsten Auswirkungen des wirtschaftlichen Stillstands abzufedern. Deutschland scheint aufgrund der soliden Haushaltslage und der guten medizinischen Infrastruktur sehr gut aufgestellt. Doch sicher ist, all die Milliarden, die derzeit über die Regierungen und die Notenbanken in den Markt fließen, können den Stillstand nur eine begrenzte Zeit überbrücken. Daher werden berechtigterweise die Rufe nach einer Exit-Strategie lauter. Mit sinkenden Infektionsraten lockern die ersten europäischen Staaten ihre Restriktionen, auch aufgrund des wachsenden Drucks der Bevölkerungen.

Ein seriöser Blick in die Zukunft ist derzeit nur sehr begrenzt möglich. Zu viel hängt vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie und von möglichen medizinischen Fortschritten ab. Eine Situation wie die jetzige gab es in den letzten hundert Jahren noch nicht – daher sind die Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts oder mit der Finanzkrise 2008/2009 zwar verständlich, aber nicht wirklich hilfreich. Wir können zuversichtlich sein, das die derzeitige Krise keine globale Finanzkrise wie zu Zeiten des Lehman Schocks zur Folge haben wird. Die schnellen und sehr deutlichen Maßnahmen der Notenbanken haben zu einer nachhaltigen Entspannung an den Kreditmärkten beigetragen. Sicher wird es eine Reihe von Zahlungsausfällen bei Risikopapieren geben, diese werden aber nicht die Stabilität des Gesamtmarktes erschüttern.

Und anders als in der Weltwirtschaftskrise sparen die Regierungen heute nicht gegen die wegbrechenden Steuereinnahmen an, sondern überbieten sich derzeit mit umfangreichen Konjunkturprogrammen. Unter der Annahme, dass die derzeitige Phase des weitgehenden Stillstands des öffentlichen Lebens zeitnah enden wird, besteht die Hoffnung, dass ein Großteil des wirtschaftlichen Einbruchs im weiteren Jahresverlauf und im Jahr 2021 aufgeholt werden kann. Zu hoffen bleibt, dass die Welt den zweiten Fehler der Weltwirtschaftskrise – den Protektionismus und Populismus – nicht wiederholt.

Aber eines scheint sicher zu sein: die Rettungsaktionen der Geld- und Fiskalpolitik werden einen hohen Preis haben. Die Schuldenstände der Staaten explodieren derzeit geradezu. Und in Europa wird die Frage der finanziellen Solidarität schon jetzt neu gestellt. Vor diesem Hintergrund erscheint es derzeit geboten, die Nullzinspolitik langfristig beizubehalten, um die Finanzierbarkeit der Haushalte zu gewährleisten.

Die Aktienmärkte stochern derzeit buchstäblich im Nebel. Verlässliche Indikationen zur zukünftigen Gewinnentwicklung sind derzeit nicht möglich. Unternehmen sind von den aktuellen Verwerfungen in sehr unterschiedlicher Weise betroffen. Während zum Beispiel die Touristik- und Luftfahrtbranche derzeit einen kompletten Stillstand erlebt, laufen andere Bereiche weitgehend normal weiter, beziehungsweise werden - wie die Gesundheits-wirtschaft - in Zukunft sicher von erheblichen Investitionen gekennzeichnet sein. Daher kommt der individuellen Auswahl der Einzelinvestments eine noch erheblichere Bedeutung zu.

Jede Krise birgt aber nicht nur Risiken, sondern bietet auch Chancen! So betrachten wir die aktuellen Notierungen an den Kapitalmärkten für langfristig orientierte Anleger als (historische) Chance, Aktien auf einem attraktiven Niveau zu erwerben. Vor der Corona-Krise waren die Bewertungen sehr ambitioniert, heute liegen die Notierungen in etwa auf Buchwertniveau. Wenn also nicht in den nächsten Wochen, wann dann?

Wir hoffen, dass Sie und Ihre Familien diese ungewisse und unruhige Zeit gesund überstehen.

Düsseldorf, im April 2020 |© Eichler & Mehlert GmbH

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