Blicken wir auf die aktuelle Weltkonjunktur – dann fühlen wir uns doch ein wenig an die 70er-Jahre erinnert. Auch wenn die wirtschaftlichen Rahmendaten damals eine etwas andere Situation zeigten (und der Vergleich in manchen Punkten hinkt) – wesentliche Dinge scheinen sich zu wiederholen: Energiekrise, Inflation, Rezession…….hatten wir alles schon einmal.
Ausgangspunkt war die Abhängigkeit vom Rohöl und einigen wenigen Lieferanten – und damit die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, die bekämpft werden sollte – kommt uns bekannt vor. Und auch die Maßnahmen, die damals helfen sollten, hören wir auch heute: autofreie Sonntage, allgemeine Fahrverbote und Geschwindigkeitsbegrenzungen. Sämtliche Ideen zeigten kaum Wirkung, die Industrieländer stürzten in eine Rezession mit Kurzarbeit, hoher Arbeitslosigkeit und immens hohen Sozialabgaben.
Wiederholt sich die Geschichte? Ist es eben heute die Abhängigkeit von Gas anstatt Rohöl, von dem wir uns befreien müssen?
Die erste Hälfte des Jahres 2022 liegt hinter uns und die Bilanz ist weltpolitisch und börsentechnisch in weiten Teilen ernüchternd. Seit Monaten tobt ein mörderischer Krieg in Europa und eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. In der Ukraine sind bereits Tausende dem russischen Eroberungsfeldzug zum Opfer gefallen und im Westen werden die wirtschaftlichen Konsequenzen des Krieges immer deutlicher.
Getrieben von immer weiter steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen markierte die europäische Inflationsrate mit +8,6 % ein Niveau, das seit Jahrzehnten nahezu undenkbar schien. Vielen Verbrauchern geht derzeit schlicht das Geld aus. Da verwundert es nicht, dass die Indikatoren für das Konsumklima auf Rekordtiefstände purzeln und viele schon von den Corona-Lockdowns gebeutelten Einzelhändler vor dem endgültigen Aus stehen. Und wir ahnen, dass da noch deutlich mehr Ungemach vor uns liegen könnte: Russland liefert derzeit deutlich weniger Gas und ob nach der turnusmäßigen Wartung der Gaspipelines im Juli überhaupt noch geliefert wird, bleibt abzuwarten.
Anhaltende Probleme in den industriellen Lieferketten und der wachsende Mangel an Arbeitskräften – nicht nur in der Flugabfertigung – belasten Verbraucher und Wirtschaft. Auch die Bauindustrie bekommt langsam merklichen Gegenwind, denn die deutlich gestiegenen Kapitalmarktzinsen machen viele Bauvorhaben zunichte.
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Börsen im 1. Halbjahr förmlich eingebrochen sind: sowohl der deutsche Leitindex DAX, als auch der europäische EuroStoxx50 weisen ein Minus von gut 19,5 % aus. Die Verluste an den US-amerikanischen Märkten von -20,6% für den S&P 500 und -29,5% für die Technologieaktien im Nasdaq100 Index waren noch höher. Nur der starke US-Dollar milderte die Verluste für europäische Anleger ab.
Sichere Häfen für das Geld gab es praktisch nicht, denn auch die Rentenmärkte verzeichneten zweistellige Kurseinbrüche. So steht für den europäischen Rentenindex Iboxx Overall ein Minus von 12,2% im 1. Halbjahr in den Büchern. Weltweit verzeichneten die Anleihemärkte den schlechtesten Jahresbeginn seit dem Jahr 1788! Lediglich Investments in Rohstoffe, wie z.B. Gold, dass in Euro um gut 8 % zulegen konnte, verschafften Anlegern ein wenig Linderung. Für die Investoren, die auf Kryptowährungen als Absicherung gegen die Inflation gesetzt hatten, kam es hingegen zu einem bösen Erwachen. So verlor die bekannteste Kryptowährung Bitcoin über 60 % ihres (vermeintlichen) Wertes.
Insgesamt also eine desaströse Bilanz in der 1. Jahreshälfte 2022. Und der Blick in die Zukunft ist derzeit alles andere als rosig. Sollte Russland den Gashahn im Juli komplett abdrehen, dürften sich die Hoffnungen auf eine Beruhigung der Inflationsraten in Luft auflösen. Ein neuer gewaltiger Kostenschub käme auf die Wirtschaft und die Verbraucher zu. Ein Stillstand weiter Teile der Industrie würde insbesondere Deutschland hart treffen. Doch auch ohne den totalen Ausfall der Gaslieferungen ist schon jetzt absehbar, dass wir uns mit dem Szenario einer länger anhaltenden Stagflation beschäftigen müssen. Noch sind die Auftragsbücher der Wirtschaft gut gefüllt und die Gewinnsituation ist überwiegend noch gut. Doch viele Konjunkturindikatoren befinden sich seit Monaten im Sinkflug und eine künftige Rezession scheint unausweichlich.
Wir befinden uns in einer Zeit vieler Umbrüche. Die jahrzehntelang verfolgte Strategie des „Wandel durch Handel“ ist krachend gescheitert. Russland und China sind und waren keine verlässlichen Partner. Gerade Deutschland hat sich in eine unverantwortbare Abhängigkeit von Diktaturen in der Rohstoffversorgung und in den Absatzmärkten für unsere Industriegüter begeben. Diese Fehler der letzten Jahrzehnte fallen uns nun auf die Füße und viele ahnen, dass die angestrebte Energiewende aufgeschoben werden muss. Denn billiges Gas als „Brücke“ zu den Erneuerbaren ist schlicht nicht mehr vorhanden und alte Braunkohlemeiler gehen wieder ans Netz. Und beim Ausbau regenerativer Energien begeben wir uns geradewegs in neue Abhängigkeiten zu China, dem weltweit führenden Hersteller für Solarmodule und Batterien.
In der Politik ist man wieder damit beschäftigt, zahlreiche Rettungspakete zu schnüren und systemrelevante Bereiche vor dem Kollaps zu bewahren. Das ist sicher in vielen Fällen nachvollziehbar, doch sollte nicht vergessen werden, dass der Staat nicht unbegrenzt helfen kann. Ein zu großer Staatseinfluss ist langfristig schädlich und auch schlicht nicht dauerhaft finanzierbar.
Denn auch die Geldpolitik erlebt eine „Zeitenwende“. Weltweit begegnen die Zentralbanken der rasant steigenden Inflation mit zum Teil deutlichen Zinserhöhungen. Lediglich die EZB belässt es derzeit bei Ankündigungen, demnächst tätig werden zu wollen. Doch die Kapitalmärkte haben die Entwicklung weitgehend vorweggenommen und die Zinswende bereits großteilig eingepreist.
Die Anpassungen der Märkte und der Politik an die neuen Gegebenheiten verliefen ruppig und mit teils dramatischen Brüchen. Und sie ist sicher noch nicht abgeschlossen, denn noch immer schreiben viele Börsianer und Entscheider in Wirtschaft und Politik ihre Erfahrungen der letzten Jahrzehnte einfach fort. Viele noch immer sehr optimistische Gewinnerwartungen von Analysten werden sich als nicht haltbar erweisen und Anlass für weitere Korrekturen liefern.
Doch trotz aller aktuellen Widrigkeiten sind wir verhalten zuversichtlich, dass wir einen Großteil der Anpassung an die neuen Realitäten bereits hinter uns haben. Die Zeit der Null- und Negativzinsen ist vorbei und die Zentralbanken haben ihre marktverzerrenden Anleihekaufprogramme eingestellt. Die sehr hohen Inflationsraten werden uns noch einige Zeit erhalten bleiben und bei einem Stopp der Gaslieferungen Russlands auch sicher noch einmal deutlich zulegen, aber die nahende Rezession führt bereits jetzt zu sinkenden Preisen für eine Vielzahl industrieller Rohstoffe. Zudem wird das sich derzeit rapide verschlechternde konjunkturelle Umfeld dazu führen, das die Zentralbanken nicht allzu aggressiv gegen die Teuerung vorgehen können. Folgerichtig sendet der Markt für festverzinsliche Wertpapiere derzeit auch erste deutliche Signale der Entspannung.
Die Aktienmärkte haben sich aus unserer Sicht weitgehend an das veränderte Zinsumfeld und die daraus resultierenden veränderten Bewertungsparameter angepasst. Viele Unternehmen, gerade im Technologiesektor, haben eine deutliche Korrektur ihres Börsenwertes erlebt und viele Geschäftsmodelle werden derzeit zu Recht kritisch hinterfragt. Aber selbst in einer Rezession, vor der wir sehr wahrscheinlich stehen, wird es einer Vielzahl von Unternehmen möglich sein, nachhaltig profitabel zu sein und Wert für ihre Aktionäre zu schaffen.
Selbstverständlich können wir weitere schmerzhafte Kursverluste an den Börsen nicht ausschließen, aber wir sind davon überzeugt, dass Angst gerade in der jetzigen Lage ein sehr schlechter Ratgeber ist. Die Welt und damit auch die Weltwirtschaft erlebt gerade eine Phase großer Umbrüche. Das bringt Risiken und auch zum Teil Verluste mit sich. Aber Zeiten des Umbruchs bieten immer auch eine Vielzahl von neuen Chancen und Möglichkeiten.
Das zerstrittene und in Bürokratie erstarrte Europa findet derzeit in Anbetracht der russischen Aggression wieder zueinander und die noch vor kurzem als „Hirntod“ geschmähte NATO ist plötzlich so attraktiv wie nie. Auch Deutschland scheint aus dem Schlaf der letzten Jahre langsam aufzuwachen und sich in vielen Politikfeldern neu auszurichten. Hoffen wir, dass der notwendige (Sinnes-)Wandel gelingt…….
Düsseldorf, im Juli 2022