2. Quartal 2020

Die Börsen – losgelöst von der Realität?

Das Corona-Virus hat die Welt weiterhin fest im Griff. Täglich bestimmt das Geschehen rund um die Ausbreitung des Virus die Schlagzeilen und unser aller Verhalten.

Während in Kontinentaleuropa und in weiten Teilen Asiens die Fallzahlen der Corona-Infektionen zuletzt deutlich gesunken sind und die ergriffenen Maßnahmen Wirkung zeigen, macht die Entwicklung in den USA und vielen Entwicklungsländern Sorgen. Aktuell melden die USA einen besorgniserregenden Anstieg der Infektionen und erste US-Bundesstaaten kehren in den Lock-Down zurück. Damit droht dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt, der nach dem historischen Einbruch der letzten Monate erste Erholungstendenzen zeigte, erneutes Ungemach. Kein günstiges Umfeld für einen sichtlich nervös werdenden Donald Trump, der allen Grund hat, um seine Wiederwahl im November zu fürchten.

Anders ist das Bild in Europa. Die scharfen Restriktionen werden zurückgefahren und die Wirtschaft nimmt die Produktion sukzessive wieder auf. Die konjunkturellen Frühindikatoren erholen sich von ihren dramatischen Einbrüchen im 1. Quartal und senden Zeichen der Entspannung. Doch mehr als eine zaghafte Erholung von einer der stärksten Rezessionen der jüngeren Vergangenheit ist derzeit noch nicht wirklich auszumachen. Die Unsicherheit ist nach wie vor groß und viele Bereiche der Wirtschaft stehen unverändert nahe am Abgrund. Denken Sie nur an die Luftfahrt, den Tourismus, die Gastronomie und viele Einzelhändler.

Solange kein wirksamer Impfschutz entwickelt wird, ist zudem die oft zitierte Gefahr einer 2. Infektionswelle auch bei uns noch nicht gebannt. Regionale Ausbrüche in Deutschland und die kritische Lage in vielen klassischen Urlaubsdestinationen mahnen zur Vorsicht.

Doch die Börsen scheinen fest an eine V-förmige Erholung der globalen Konjunktur zu glauben und legten im 2. Quartal 2020 eine beeindruckende Rally hin: In den vergangenen 3 Monaten erholte sich der deutsche Leitindex DAX um 23,9 %; der europäische Kursindex EuroStoxx 50 stieg um gut 16 % und der S&P 500 in den USA um 20 %. Mit dieser kräftigen Erholung konnten die dramatischen Verluste des Jahresauftakts deutlich verringert werden. In der Bilanz des ersten Halbjahres steht für den europäischen EuroStoxx 50 nun noch ein Minus von 13,7 % zu Buche, der deutsche DAX-Index notiert bei -7,1 % und der S&P 500 weist einen Kursrückgang um 3,8 % auf. Der technologielastige Nasdaq-Index in den USA schaffte seit Jahresanfang sogar ein deutliches Plus.

Mit dieser beeindruckenden Börsenerholung haben wohl nur die allergrößten Optimisten gerechnet und viele Investoren wurden auf dem falschen Fuß erwischt. Die „Fear of missing out“, die Angst, der positiven Kursentwicklung hinterher laufen zu müssen, treibt viele Börsianer um, zwang sie zur Auflösung von Absicherungen und zur Investition hoher Bargeldbestände.

Dem deutschen Aktienmarkt konnte auch der Wirecard-Skandal, dem bisher wohl größten Betrugsfall in der Nachkriegszeit, nichts anhaben. Bis dato war es unvorstellbar, das bei einem DAX-Wert alle externen Prüf- und Kontrollinstanzen derart versagen konnten. Der Fall wird die Justiz und auch die Finanzaufsicht wohl noch lange beschäftigen.

Haben sich damit die Märkte von der Realität abgekoppelt oder liegen die Börsen mit ihrem Optimismus richtig?

Eine alte Börsenweisheit lautet: „Der Markt hat immer recht“. Daher sollte man stets vorsichtig sein, wenn man dem Markt Realitätsverlust unterstellt. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass zur aktuellen Realität nicht nur der globale konjunkturelle Schock gehört, in den die Viruspandemie die Wirtschaft geführt hat, sondern auch die bis dato unvorstellbaren Gelder, die zur Überwindung der Krise bereitgestellt werden. Die Notenbanken von Peking bis Washington fluten derzeit die Märkte mit gigantischen Beträgen, um die Liquiditätsver- sorgung in der Krise sicherzustellen; die Leitzinsen sind nahezu überall bei Null oder sogar darunter und die nationalen Regierungen feuern derzeit fiskalpolitisch aus allen Rohren. Die Summe der Corona-Hilfen beläuft sich mittlerweile in Europa auf etwa 17% des Bruttonationaleinkommens, die der USA auf ca. 16 %.

Der deutsche Staatshaushalt rutscht von einer schwarzen Null in eine Rekord-Neuver- schuldung, und auf europäischer Ebene wird über ein 750 Mrd. EURO schweres Konjunkturpaket verhandelt.

Bei diesen Zahlen kann einem zu Recht unwohl werden. Es ist nachzuvollziehen, wenn Anleger in vermeintlich sichere Häfen wie Gold investierten, das im 1. Halbjahr in Euro um gut 17 % im Preis zulegen konnte. Auch die Rentenmärkte profitierten im Berichtsquartal deutlich von der Aussicht auf ein langfristig sehr niedriges Zinsniveau und den sehr umfangreichen Käufen von Staats- und Unternehmensanleihen durch die Zentralbanken.

Und zur Wahrheit gehört auch, dass die Märkte durchaus differenzieren: Während Digitalkonzerne wie Amazon, Alphabet & Co. und Aktien aus der Pharma- und Gesundheits-branche deutliche Kurszuwächse verzeichneten, mussten Aktien von Fluggesellschaften, Touristikkonzernen und vielen anderen konjunktursensiblen Branchen herbe Verluste verbuchen. Die Entwicklung der gängigen Indizes täuscht also oft darüber hinweg, dass die Börsen in der aktuellen Krise sehr wohl zu einer realitätsnahen differenzierten Bewertung gekommen sind.

In der Gesamtbetrachtung bleibt dennoch festzuhalten, dass die Märkte auf dem aktuellen Niveau ein sehr positives konjunkturelles Szenario zeichnen. Die Kraft für diesen Optimismus stellt derzeit die reichlich vorhandene Liquidität bereit, die nach Anlagemöglichkeiten sucht. Ob dieses sehr positive Szenario eintrifft, erscheint uns derzeit mit großen Unsicherheiten behaftet. So dürfte auch das 2. Halbjahr 2020 einige Marktturbulenzen bereithalten: Eine mögliche zweite Infektionswelle, die unter Umständen wieder zu partiellen Lock-Downs der Wirtschaft führt, ist ebenso möglich wie ein Durchbruch in der Impfstoffentwicklung.

Mit den umfangreichen Corona-Hilfspaketen wurde der abrupte freie Fall der Wirtschaft in den entwickelten Volkswirtschaften abgefedert. Doch je länger die Pandemie die Welt im Griff hat, umso deutlicher wird, welches Ausmaß die wirtschaftlichen Schäden annehmen. Eine Welle von Insolvenzen, Geschäftsaufgaben und Restrukturierungen steht uns erst noch bevor.

Damit wird auch die Arbeitslosigkeit, die derzeit von der umfangreichen Nutzung der Kurzarbeitsregelung kaschiert wird, deutlich ansteigen.

Nicht zu unterschätzen sind ebenso die klassischen Themen neben der Corona-Pandemie, die für neue Marktverwerfungen sorgen könnten. Da wäre neben dem Dauerbrenner „Brexit“ vor allem die heiße Phase des US-Wahlkampfs zu nennen, bei der Donald Trump aktuell nicht als Favorit der Meinungsforscher ins Rennen geht. Mit irrationalen Auftritten und Kommentaren vermag der US-Präsident mit Sicherheit für neue Unsicherheiten sorgen. Die wieder in den Fokus rückenden Handelskonflikte, insbesondere mit China, tragen auch nicht unbedingt zur Vertrauensbildung in eine dynamische wirtschaftliche Erholung bei.

Spannung verspricht darüber hinaus die Berichtssaison der Unternehmen über das abgelaufene Quartal, die gerade angelaufen ist. Viele Zahlenwerke werden eine dunkelrote Färbung aufweisen, da in Ihnen das miserable 1. Halbjahr verarbeitet werden muss. Viele Firmenlenker werden die Corona-Krise aber auch zur vielleicht lange (über-)fälligen Korrektur von Altlasten nutzen. Für Spannung und Volatilität an den Märkten dürfte also gesorgt sein.

Wir sind vor diesem Hintergrund gefordert, die Entwicklung an den Börsen mit hoher Wachsamkeit weiter zu verfolgen und sich bietende Chancen aktiv wahrzunehmen und die Risiken für unsere Kundendepots stets im Blick zu behalten. Als Vermögensverwalter, der den aktiven Managementansatz verfolgt, sehen wir die wieder stärkere Differenzierung an den Märkten als Bestätigung unserer Investmentphilosophie, und empfehlen auch weiterhin in sorgfältig selektierte Aktien- und Rentenanlagen zu investieren.

Düsseldorf, im Juli 2020 |© Eichler & Mehlert GmbH

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